Der Fachbereich Geschichte hat ein Zeitzeugengespräch veranstaltet, über das Julie Wiskow (9B) hier berichtet. Wir sind dankbar für Hinweise von Eltern und Schülern auf ältere Personen, z.B. Großeltern, die bereit wären unseren Klassen für ein Zeitzeugengespräch zur Verfügung zu stehen. (Hinweise bitte an Hr. Köhler/Fr. Trümper Portella)
Am Montag, dem 12.03.2018, saßen viele Schülerinnen und Schüler aus der siebten, neunten, zehnten, elften und zwölften Klasse in der Bibliothek unserer Schule. Naturgemäß war es ziemlich laut. Doch der ganze Lärm verstummte mit einem Mal: Herr Dr. Rommel, der Zeitzeuge, dessentwegen die Bibliothek überhaupt so voll geworden war, betrat den Raum. Ein sehr sympathischer Mann, jung geblieben und mit schrecklichen und beeindruckenden Erinnerungen im Kopf, bahnte sich den Weg zur kleinen Bühne und den beiden Moderatorinnen aus dem zwölften Jahrgang. Ließ sich auch durch das unübliche Aussehen der beiden (es war gerade Abitur-Mottowoche) nicht verunsichern. Und fing sogleich an, zu erzählen. Über die Judenverfolgung, die Hitler in Gang setzte, über den Zweiten Weltkrieg und dessen Folgen. Über sein Leben.
Geboren 1933 in Stettin, lebte der Mediziner Dr. Rommel lange in der Wrangelstraße in Berlin-Steglitz. Das Haus, in dem er zusammen mit seinem älteren Bruder und den Eltern wohnte, stand in der Nähe der Dorfaue und den Resten eines alten Bauernhofes. Direkt gegenüber befand sich das Jüdische Blindenheim. Mit den Blinden hatten die Kinder keinen direkten Kontakt, waren jedoch mit ihnen aufgewachsen und hörten so schon den Blindenstock, mit dem die Blinden sich täglich über die Straßen bewegten. Natürlich waren sie auch so höflich, ihnen dabei zu helfen. Eine große Erschütterung war es, als die Blinden plötzlich einen Judenstern tragen mussten. Daraufhin wurden die Bänke für sie verboten; manche Menschen wechselten sogar die Straßenseite, um nicht mit ihnen in Kontakt treten zu müssen. Herrn Dr. Rommels Eltern waren Freunde von Juden und Gegner Hitlers, und so war es selbstverständlich für die Familie, den Blinden auch weiterhin zur Seite zu stehen. Das war ein Schlüsselerlebnis für ihn. An den Tag, an dem die Blinden abgeholt wurden, kann sich Herr Dr. Rommel noch sehr gut erinnern. Normalerweise war die Wrangelstraße eine ruhige Straße mit sehr wenig Autoverkehr, doch an diesem Tag konnte man die Motoren vieler Lastwagen hören; deshalb guckte er aus dem Fenster. Auf der Straße liefen zwei SS-Leute. Der Junge rief seine Mutter und gemeinsam beobachteten sie, wie ein Tritt an einen LKW gestellt wurde und alle Blinden im Gänsemarsch den Wagen betreten mussten. Sie kamen nie wieder zurück.
Ein erschütterndes Erlebnis. Ich glaube, spätestens bei dieser Erzählung ist allen im Raum ein Schauer über den Rücken gelaufen. Doch wusste Familie Rommel, was mit den Juden passieren würde? Niemand dachte ans Konkrete, genau wie in der Gesellschaft allgemein. Viele haben es geahnt, manche gewusst. Trotzdem wurde in der Schule nie über das Thema „Juden“ gesprochen. Auch in der Familie sprach man nie über die Nationalsozialisten. Aber Herr Rommel war Mitglied bei den Pimpfen, der Jugendgruppe der Nazis. Er wollte das nicht wirklich, aber es war Pflicht. Da war er ganz anders eingestellt als sein großer Bruder, der begeistert vom ersten Treffen nach Hause kam und, wie Herr Dr. Rommel erschüttert erzählte, rief: „ Ich gehöre jetzt dem Führer!“ Das ist ein wirklich schlimmer Beweis dafür, wie die Nazis die Kinder und Jugendlichen schon innerhalb kürzester Zeit für ihre Zwecke manipulieren konnten. Als Herr Dr. Rommel zu seinem ersten Dienst ging, schnitt er eine Fratze, machte also eine Grimasse, und wurde dafür ins Gesicht geschlagen. Er ging einfach nie wieder zu den Pimpfen und wurde auch nie deswegen verfolgt. Vielleicht lag das auch an seinem Namen: Einer von Hitlers Lieblingsoffizieren war, wie man sagt, Feldmarschall Rommel, ein entfernter Verwandter. Die Familie Rommel war recht groß und es gab darin sowohl Gegner Hitlers als auch stramme Nazis. So bekam der junge Herr Rommel Ärger mit einigen Leuten, wenn er statt „Heil Hitler“ „Guten Tag“ sagte. Das zeigt die außerordentliche Kontrolle der Nazis in dieser Zeit. Selbst in Klassenaufsätzen waren Fragen über den Nationalsozialismus versteckt - um die Kinder auszufragen und sie oder ihre Eltern anschließend zu verhaften. Überhaupt waren die Strafen sehr streng. Für politische Witze gab es die Todesstrafe, genauso wie für das Hören des englischen Radiosenders BBC, der immer über die Neuigkeiten des Krieges berichtete. Viele, so auch die Familie Rommel, hörten trotzdem BBC.
Weinen musste Herr Dr. Rommel, als er über seinen Vater redete. Dieser ist im Februar 1945 gefallen, kurz vor Kriegsende, jedoch nicht an der Front, sondern auf der Straße in Berlin. Es gab einen Luftangriff der Amerikaner mit über 1000 Flugzeugen, bei dem er im Bombenhagel verbrannt wurde. Seine Leiche wurde nie gefunden.
Um an Momente wie diese zu erinnern, hat sich Herr Dr. Rommel dazu entschlossen, auch Stolpersteine zu verlegen. Die Steine zum Gedenken an deportierte und ermordete Juden zeigen der heutigen Welt, dass so etwas wie damals wirklich NIE wieder passieren darf!
Ich finde es sehr mutig von Herrn Dr. Rommel, von seinen Kindheitserinnerungen bei uns in der Schule zu erzählen. Es ist wichtig, dass die furchtbare Zeit von damals mit Nationalsozialisten und Judenverfolgungen niemals in Vergessenheit gerät!
Bericht: Julie Wiskow (9 B); Foto: Sabine Salayeva (9 B)