Keep your distance - keep your granny

 

Keep your distance to keep your granny

„Sei stolz auf mich, ich habe meine sozialen Kontakte eingeschränkt!“, hörte ich letzte Woche beim Telefonat mit einer Freundin. Das klingt ja zuerst wirklich gut. „Endlich“, denke ich, „hat sie es auch verstanden.“ Aber nur bis ich höre, diese Einschränkung bedeutet, dass sie sich nur noch mit drei Freunden gleichzeitig trifft.

Kontaktverbot, Maskenpflicht, Ausgangssperren. Das alles sind gesetzliche Regelungen, die je nach Stärke der Pandemie in verschiedenen Regionen getroffen werden. Wer sich nicht an die geltenden Vorschriften hält, wird mit einer Geldstrafe bis über 250 Euro bestraft.

Aber ist das alles? Ein Verstoß gegen geltende Gesetzgebungen, ähnlich wie beim Überschreiten der Geschwindigkeitsbegrenzungen im Straßenverkehr? Hat diese spezielle Problematik nicht auch eine moralische Komponente?

Meine Oma beispielsweise hat dreimal in ihrem Leben Krebs überlebt, jedoch bleibende Schäden davongetragen. Sie sitzt jetzt im Rollstuhl und hat ein sehr stark geschwächtes Immunsystem. Sie verlässt ihr Grundstück seit Beginn der Pandemie nicht mehr. Selbst das Einkaufen ist für sie so gefährlich geworden, dass sie es von Bekannten erledigen lassen muss.  Menschen wie sie gehören sogar innerhalb der Risikogruppe zu den am meisten durch das Virus gefährdeten Menschen. Sie sind in der aktuellen Situation zutiefst abhängig vom Rest der Gesellschaft, denn mehr als selbst zu Hause zu bleiben können sie nicht tun.

Und was tun wir? Ein Großteil der Jugend nutzt die unterrichtsfreie Zeit für Partys, trifft sich in großen Gruppen am See, veranstaltet Grillabende, unternimmt Ausflüge und noch mehr.

Warum? Liegt es an der Ignoranz, am Egoismus oder an beidem? Erkennt ihr die Gefahr nicht, oder ist es euch einfach egal?

Die meisten der unter 30 jährigen Menschen sind nicht Teil der Risikogruppe. Die Wahrscheinlichkeit, in diesem Alter und ohne Vorerkrankungen einen schweren Krankheitsverlauf durch das Covid19-Virus zu haben oder sogar daran zu sterben, ist zwar vorhanden, aber fast verschwindend gering. Natürlich gibt jungen Menschen das ein sicheres Gefühl, man hat keine Angst davor unter Leute zu gehen und findet die Schutzmaßnahmen vielleicht komplett übertrieben.

Aber ist das eine Ausrede, um sich nicht daran zu halten?

„Der Mensch lebt notwendig in einer Begegnung mit anderen Menschen, und ihm wird mit dieser Begegnung in einer je verschiedenen Form eine Verantwortung für den anderen Menschen auferlegt“, so Dietrich Bonhoeffer. Mit anderen Worten, wir sind alle für die Menschen um uns herum verantwortlich, ob wir es wollen oder nicht.

Die Pandemie mag dich zwar persönlich kaum betreffen, aber was ist mit deinem alten Nachbarn? Deinem an Diabetes vorerkranktem Mitschüler? Deinen Großeltern? Der Kassiererin im Supermarkt, deren Kind Asthma hat? Wenn man nicht zum Selbstschutz zu Hause bleibt, sollte man es aus Respekt vor diesen Menschen tun. Denn als Teil der Gesellschaft liegt die Verantwortung bei jedem von uns!

Vielen scheint dieses Verantwortungsbewusstsein zu fehlen.

Sie sind egoistisch, denken scheinbar nur an ihr eigenes Wohlbefinden und nicht an die Gesundheit anderer.

Sie sehen nicht den Schaden, den sie damit anrichten, oder sie übersehen ihn absichtlich.

Sie lassen andere leiden, weil sie selbst nicht ihre Gewohnheiten verändern und ihr Leben einschränken wollen.

Mich erinnert das stark an die Situation, die sich bis vor ein paar Monaten jeden Freitag wiederholte. Jugendliche, die den Unterricht verlassen, um auf die Fridays-for-Future-Demos zu gehen. Oft wurden im Zuge dieser Demonstrationen ältere Menschen für fehlendes Mitgefühl beschuldigt, für Egoismus. Sie würden sich nicht engagieren, weil die nahende Krise sie sowieso nicht mehr beträfe, so hieß es immer wieder.

Warum liebe Jugend, warum stellt ihr Maßstäbe der Fairness auf, an die ihr euch selbst nicht haltet?

Wenn es in der Verantwortung der älteren Bevölkerung liegt, sich für den Klimaschutz einzusetzen, dann liegt es genauso in unserer Verantwortung, uns in dieser Zeit an Schutzmaßnahmen zu halten, um die Zahl der Corona-Infizierten möglichst gering zu halten.

Ich persönlich würde sogar noch weiter gehen, als nur über Verantwortung zu sprechen. Moralische Regeln sind dazu da, das zwischenmenschliche Miteinander zu verbessern und somit das Leben in einer Gesellschaft zu erleichtern, teilweise überhaupt erst möglich zu machen. So wie eine Schule nicht ohne eine Schulordnung funktioniert, so wie ein Staat Gesetze braucht, so zerbricht auch eine Gesellschaft ohne Moral.

Überall, wo mehrere Menschen aufeinandertreffen, hat jeder seinen Beitrag zu leisten, damit alles funktioniert. In der Schule muss ich leise sein, wenn der Lehrer etwas erklärt und in der Gesellschaft ist es meine Pflicht, mich moralisch so richtig wie möglich zu verhalten.

Ja, ich spreche von Pflichtbewusstsein. Es ist unsere Pflicht, das Haus nur für die wichtigsten Besorgungen und Bedürfnisse zu verlassen. Es ist unsere Pflicht, unseren Egoismus zu überwinden und verantwortungsvoll gegenüber der Risikogruppe zu handeln. Und es ist unsere Pflicht, die zum Wohle aller aufgestellten Gesetze zu respektieren und zu befolgen. Das derzeitige Problem ist nur, dass sich ein Großteil der (jungen) Bevölkerung dieser Pflicht nicht bewusst ist.

An dieser Stelle möchte ich keine Ausreden hören.

Denn auch der Geburtstag eures besten Freundes ist es nicht wert, dafür fremde Leben aufs Spiel zu setzen!

Denn das tut ihr. Eure Ignoranz kostet täglich Menschenleben.

Denkt an eure Oma, bevor ihr auf die nächste Corona-Party geht.

Wenn unsere Gesellschaft in diesen Zeiten der Krise nicht zusammenhalten kann, wann kann sie es dann?

 

Lea Schmidt-Ott, Leistungskurs Philosophie

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